Auf nach Oruro für eine Nacht und anschließend in die heimliche Hauptstadt Boliviens: La Paz. Wir hatten eine tolle Zeit in Sucre und haben uns tatsächlich heimisch gefühlt. Es ist ja nun nicht wirklich alltäglich, dass man von der Bäckersfrau im Mercado Central mit einem Lächeln begrüßt, auch bei der lieben Frau vom Gemüsestand gab es dann mal ein Locoto oder eine Gurke extra dazu. Irre wie schnell sich doch Gewohnheiten ins alltägliche Leben in einem fremden Land, mit fremder Sprache und völlig gegensätzlicher Lebensweise einbauen.
Am Abend gehen wir in unsere Lieblings Parrilada bevor es dann nach Oruro geht. Leider gibt es nur Nachtbusse, die uns in unsere nächste Stadt bringen. Bei Nachtfahrten bevorzugen wir Unternehmen, die gute Bewertungen haben und mehr Wert auf Sicherheit und Ausstattung legen. Darüber hinaus sollten sich auch mehrere Fahrer die längeren Fahrten teilen. Das Unternehmen Trans Azul ist so eines. Doch es kommt anders als geplant…
Chaos-Bus nach Oruro
Wir sitzen bereits im Bus und freuen uns über die tollen, bequemen Sitze und unterhalten uns mit unserer Nachbarin, die sich bereits mit Decke und Kopfkissen eingerichtet hat. Plötzlich kommt die Frau vom Ticketschalter und erklärt uns das es wohl eine Überbuchung für diesen Bus gibt und wir einen anderen nehmen müssen. Que?
„Der andere Bus hat viel mehr Beinfreiheit und ist auch günstiger“… jaja. Alles diskutieren nützt nichts und unsere Rucksäcke wurden auch bereits ausgeladen. Na super! Eine Viertelstunde später kommt dann das neue Vehikel angetuckert. Eine andere Wahl haben wir nicht wirklich. Von der versprochenen Beinfreiheit war nichts zu spüren und die durchgerockten Sitze waren wohl vor 15 Jahren mal angenehm. Die Toilette ist eher eine Werkstatt, neben Schraubenzieher und Brecheisen liegen noch Federn für die „Stoßdämpfer“. Ja geil…
Nach acht Stunden kommen wir um 5 Uhr in Oruro an. Das günstigste Hostel am Platz ist vergleichsweise teuer. Leider auch recht anonym und vor allem kalt. Wirklich kalt und ohne Heizung oder Heizlüfter ausgestattet. Wir krabbeln unter drei Decken und holen ein wenig Schlaf nach.
Bienvenidos Oruro
Sightseeing in der Karnevalshochburg Oruro ist doch genau das richtige für Bremer Frohnaturen. Wir spazieren in Richtung Marktplatz und werden gleich mit einem ordentlichen bolivianischen Streik begrüßt. Dies fällt uns aber erst beim zweiten Blick auf. Zunächst wundern wir uns nur darüber, dass der Platz sehr belebt ist. Wir setzen uns auf eine Parkbank spielen Backgammon und saugen das Leben des Städtchens auf. Ilka gönnt sich einen unfassbar süßen Wackelpudding mit Sahne (natürlich). Dazu muss man wissen, dass in Bolivien immer irgendwo kleine Wägelchen mit Süßigkeiten, Churros oder eben jenen Wackelpudding umhergeschoben werden. Das faszinierende hierbei ist, dass die Nachfrage da ist. Immer. Um uns herum schlürfen Erwachsene wie auch Kinder das süße Zeug.
Gestärkt und flink geht es hunderte Treppenstufen hinauf zum Aussichtspunkt „Monument to the Virgen del Socavón“. Das Denkmal der Jungfrau von Socavón, eine Skulpturmit knapp 46m Höhe und befindet sich auf 3.845 Metern Höhe auf dem Hügel Santa Bárbara. Es gibt auch eine niegelnagelneue Gondelbahn, die aber leider stillsteht. Vermutlich ist hier die Nachfrage zu gering, so dass sich der Betrieb nicht lohnt. Wir pfeifen aus dem letzten Loch. Die Höhenmeter spüren wir eindeutig bei jeder Stufe. Wir sehen es als Training für die kommenden Wochen.
Am späten Nachmittag versuchen wir noch den Bus nach La Paz zu buchen. Dabei machen wir mit einer Eigenart Bekanntschaft:
Die Bustickets können wir erst am nächsten Tag kaufen. Wie die Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt preisen die Verkäufer die Orte an, die als nächstes angefahren werden. Es scheint so als ob die Bolivianos sich spontan entscheiden nach La Paz, Potosi oder Uyuni zu fahren.
Dieses Phänomen bestätigt sich am nächsten Morgen. Wir sitzen endlich im Bus, dieser tuckert vom Terminal umgeben von den Marktschreiern und tatsächlich steigen noch nach und nach diverse Menschen in den Bus als ob sie sich mal eben überlegt haben nach La Paz zu fahren. Na ja, sind ja auch nur vier Stunden.
Simple life!
Unser einfacher Bus, ohne Schnickschnack, ist vollgestopft mit lauter freundlichen Leuten. Herrlich anzusehen wie sich die einige über den B-Movie „dino-City“ freuen, den Ilka und ich nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Interessanter ist die Landschaft, die an uns vorbei zieht. Ab und zu wird angehalten und es steigen Leute ein und aus.
Spannend wird es als wir durch den Vorort El Alto fahren und dann hinab in den Talkessel von La Paz blicken können. Oh mein Gott, was für ein Hexenkessel erwartet uns denn da?
Viva La Paz!
Im Busterminal von La Paz empfängt uns eine ähnliche Atmosphäre wie in Oruro: Viel Gewusel und Hektik. Schnell durch da. Wir schnappen uns das nächste Taxi zum Hostel, unwissend zahlen wir gleich einen Touri-Aufpreis. Angeblich sei auf der Strecke ein Streik, den wir umfahren müssen. Gutgläubig sind wir ja und es handelt sich nicht um Wucher. Angekommen im Hostel erwartet uns ein helles Zimmer und es ist wieder saukalt. Aber das Hostel hat eine gemütliche Atmosphäre. Super! Nebenbei werden noch sämtliche Touren angeboten die in der Umgebung von La Paz möglich sind.
Gegensätze
Das wichtigste zuerst: Wir erkunden das Viertel in dem sich unser Hostel befindet und stellen fest, dass die Unterschiede zwischen dem einfachen Oruro und La Paz offensichtlich sind. Gleich zwei Malls mit Multiplexkino, künstlichen Wasserfällen und LED-Lichtspiel laden die Kids zum Selfie-schießen ein. Die Klamotten in der großen Stadt sind modern und bei weitem nicht so traditionell wie in Oruro, welches sich in Oruro durch einen hohen indigenen Anteil der Bevölkerung bemerkbar macht. Das internationalere Flair nutzen wir und gehen zum spanischen Restaurant welches sich praktischerweise gleich neben unserer Unterkunft befindet und ziemlich lecker ist.
Sightseeing in La Paz
Am nächsten Tag gehen wir um 11 Uhr zusammen mit Kornelje zum Plaza Sucre. Treffpunkt für die Free Walking Tour by red caps. Wie bereits in La Boca wird auch hier gleich zum Beginn der Tour darauf hingewiesen, dass diese free-Walking Tour nicht wirklich gratis ist. Laut bolivianischem Gesetz darf nichts gratis angeboten werden. Deshalb kostet die Tour grundsätzlich 20 Bov pro Person. Die beiden Guides weisen auch gerne darauf hin, dass Trinkgeld in beliebiger Höhe gerne gesehen ist.
An sich ist die Tour okay, allerdings – und das hat wirklich die gesamte Gruppe gestört – sind wir ziemlich durch die Stadt gehetzt. Es blieb kaum Zeit auf den Märkten kurz innezuhalten. Es wurden sämtliche Must-Sees abgeklappert die in jedem Reiseführer stehen. Das Ende der Tour wurde in einem Pub abgehalten und wer möchte kann gleich im Anschluss die erweiterte Tour für 17 USD machen, die dann nach El Alto und zum Friedhof, sowie zum Cholitas Wrestling gehen soll. Alles bis auf das Wrestling wollen wir zwar eh besuchen, aber wir wollen uns dabei vor allem Zeit dabei lassen. Also machen wir das auf eigene Faust.
Cholitas Wrestling
Eine Cholita ist eine Frau, die dem Volksstamm der Aymara angehört. Diese trägt heutzutage immer noch ihre traditionellen Kleider – einen langen ausgestellten Faltenrock, ein Spitzenoberteil, einen zu kleinen britischen Hut, zwei lange geflochtene Zöpfe und ein großes buntes Tuch als Rucksack. Eine Cholita muss rundlich bis dick sein und sehr schöne muskulöse Waden haben, da dies dem Schönheitsideal entspricht. Dadurch zeigt sie, dass sie viel tragen und arbeiten kann, da Cholitas meist auf dem Land arbeiten und in der Stadt ihre Ware wie Früchte und Gemüse verkaufen. Der Mann muss in der Aymara Kultur auch dick sein und dickes Haar haben, was zeigt, dass er eine Familie gut ernähren kann. Generell kam es uns aber so vor als wären die Frauen wichtiger und würden das Sagen in der Familie haben.
Beim Wrestling treten die Cholitas also in traditioneller bolivianischer Kleidung gegeneinander an. Genaugenommen handelt es sich um Wrestling der Latein- bzw. Südamerikanischen Art und zwar kämpfen die Ladies, also Cholitas in ihren traditionellen Kleidern gegeneinander. Manchmal auch gegen die Herren. So wurden die Cholitas zur besseren Publicity ins Boot geholt und sollten – da der Stadtteil El Alto vorwiegend aus Aymara– und Quechua-Einwohnern besteht – auch im traditionellen Gewand auftreten, also mit geflochtenem Haar, Hut, bunten Tüchern und mehrlagigen Röcken. Am Donnerstag und Sonntag gibt es jeweils am frühen Abend eine Show. Tickets gibt’s in quasi jedem Hostel
Dass es sich bei dieser Veranstaltung meist um eine reine Touristenattraktion handelt hat sich an diesem Morgen bereits gezeigt. Im Frühstücksfernsehen lief eine Wrestlingshow, dabei habe ich die Leute vom Hostel gefragt, ob diese Art von Kampf noch die ursprüngliche Tradition bewahrt. Schmunzelnd wurde dies verneint und auch gesagt, dass es sich um reine Touristenattraktionen handelt. Versteht uns nicht falsch, lustig anzusehen ist dies bestimmt. Für uns haben fünf Minuten im TV gereicht. Man sollte sich bewusst sein, dass alles um dem Veranstaltungsort komplett auf das Bedürfnis der Touristen abgestimmt ist.
Zurück zu unserer eigenen Tour in der wir uns in das Treiben von La Paz geworfen haben. Wir steigen zunächst in die rote Teleferico und fahren zum größten Friedhof, dem Cemeterio Central. Wie bei unseren vorherigen Besuchen enthalten die südamerikanischen Begräbnisstätten zum Teil persönliche Gegenstände der Verstorbenen. Hier in La Paz fallen die bunten Graffitis auf, die mit dem Tod und dem Leben assoziiert werden. Leben und Tod werden in der Anden-Kultur als Kontinuum gesehen. Der Tod ist nicht so dramatisch und wird viel friedlicher und mehr als Teil des Lebens angesehen als in der westlichen Kultur. In ganz Bolivien wird der Tag der Toten (El dia de los muertos) auf den Friedhöfen gefeiert. Die Familien kommen an den Gräbern zusammen, essen dort, spielen Musik und die Kinder spielen. Also ein wenig anders als bei uns, oder?
Einkaufen? Auf zum Señalización de la Feria 16 de Julio El Alto!
Weiter geht’s zu einem der größten wenn sogar nicht dem größten Flohmarkt in todo El Mundo. Der Feria El Alto, der jeden Donnerstag und Sonntag stattfindet. Vielleicht kannst du deinen La Paz Aufenthalt entsprechend planen – es lohnt sich. Aber der Reihe nach: Die Feria El Alto auf 4.200m Höhe erstreckt sich über ca. 25 km² und ist mehr als 6 Mal so groß wie der größte Markt in Thailand, der Bangkok Wochenendmarkt. Mehr als 60.000 Menschen besuchen die Feria an einem Markttag. Das Angebot dabei ist riesig, kein Wunder bei über 10.000 (!) Verkaufsständen.
Die „16“, wie der Markt auch genannt wird, ist unmöglich an einem Tag zu erkunden. Alleine die Avenida Panamerica mit 2km Länge reicht den meisten als warm-up. Es herrscht geschäftiges Treiben. Wir wollen mehr und lassen uns treiben. Nach kurzer Zeit haben wir bereits den Überblick verloren. Zeit für einen Snack in Form eines Empanada (was sonst). Weiter geht es, vorbei an Ständen, die allerlei skurrile Gegenstände verkaufen.
Hinunter ins Tal – die Altstadt - Centrum von La Paz
Der Hexenmarkt in der Altstadt ist wohl der bekannteste Markt von La Paz und wartet mit skurrilen Geschichten auf seine Besucher. Für die Bewohner und verschiedenen Völker der Anden ist Pachamama oder Mama Pacha die weibliche Gottheit und personifizierte Mutter Erde. Sprich: Pachamama ist die Gottheit des Lebens. Naja, die Erde hat ja auch Merkmale einer Muter, oder? Sie nährt und schützt all seine Lebenwesen. Pachamama wird heute als Faktor für Identität, sozialen Widerstand und als Hoffnung auf ein umfassenderes Leben angesehen. Das gesamte Leben der Andenbewohner ist darauf ausgerichtet, ein Gleichgewicht zu schaffen. Feste, Riten und Gebete haben das Ziel, das Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten, bzw. es immer wieder herzustellen.
Lamaföten als Heilkraft
Pachamama soll glücklich gemacht werden und so gehört es zum Alltag, ihr regelmäßig Opfergaben zu machen. Kaut man Cocablätter, so verstreut man immer drei besonders schöne Blätter für Pachamama in den Wind. Baut man ein Haus, so werden die Bauarbeiter nicht weiterarbeiten, wenn nicht ein Lamafötus für Pachamama im Fundament vergraben wird. Etwas Stärkeres bzw. Größeres muss allerdings genommen werden, wenn man ein größeres Bauwerk baut, zum Beispiel ein Hochhaus oder eine Brücke.
Eine urbane Legende besagt: Obdachlose wurden so betrunken gemacht bis sie einschliefen. Anschließend vergrub man diese dann bei lebendigem Leibe vor dem Ritual. Leider wurde einer der Betrunkenen während des Rituales wach und flüchtete. Doch Pachamama kann man nicht betrügen und die fertiggestellte Brücke soll noch heute erhebliche Baumängel haben und Probleme bereiten. Dies sollte auch als Warnung an betrunkene Touristen sein: Nehmt lieber ein Taxi zu Eurer Unterkunft…
Unsere Tipps für Deine Sightseeing Tour in der Altstadt von La Paz
Mercado Rodriquez
Calle Jaen, La Paz
Cementerio General de La Paz
Taxi, Collectivo oder doch die Seilbahn?
Bolivien hatte ein Problem. Ein Verkehrsproblem. Die beiden Nachbarstädte La Paz und El Alto auf rund 4000 Meter über Meer sind in den letzten Jahren immer näher zusammengerückt. Immer mehr Häuser wurden gebaut, die Straßen immer enger und der Verkehr immer dichter. Zeit für eine bahnbrechende Veränderung im öffentlichen Transport. Die Teleferico, das größte urbane Seilbahnnetz der Welt, wird gebaut!
Zur Hilfe kommt hier Technik aus Österreich und bei uns macht sich Skiurlaubsfeeling breit. 3000 Passagiere können pro Stunde zwischen zwei Stationen befördert werden. Täglich nutzen rund 300.000 Menschen „Mi Teleférico“ – auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, in die Schule oder in die Freizeit. Es gibt 10 Seilbahnrouten. Für umgerechnet 40 Cent pro Fahrt kann es losgehen. Die perfekte Möglichkeit La Paz zu erkunden. Es eröffnet sich einem ein skurriles Bild. Diese hochmodernen Gondeln, die über teils sehr arme und heruntergekommene Wohngebiete schweben. Fährt man mit der gelben, roten oder violetten Seilbahn hoch nach El Alto, eröffnet sich einem ein gigantischer Blick auf die Stadt.
Völlig erledigt aber rundum zufrieden verlassen wir La Paz in Richtung Titicacasee! Um ehrlich zu sein haben sich unsere Vorbehalte gegenüber dieser wuseligen Stadt ganz und gar nicht bestätigt. Natürlich ist La Paz ein Hexenkessel, aber die Stadt hat Charme und dies wird vielleicht erst auf dem zweiten Blick klar. Uns hat die Stadt sehr gut gefallen und wir können jedem empfehlen die heimliche Haupstadt Boliviens für mehrere Tage zu besuchen!
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